Ein Klassiker unter den Bergsteigerdörfern
Welch ein Kontrast! Nur wenige Kilometer hinter dem wintertouristisch hochgerüsteten Sölden im Ötztal findet man sich im stillen Venter Tal und dem von 136 Menschen (Stand 2020) bewohnten Örtchen Vent wieder. Ein Klassiker unter den alpinen Bergsteigerdörfern mit langer Alpingeschichte und Alpenvereinsbezug. Ein Ausgangspunkt zahlreicher klassischer Gletschertouren auf Wildspitze, Similaun, Weißkugel und viele Gipfel mehr.
Der Geist von Franz Senn
Hier zog der Geistliche Franz Senn am 28. September 1860 als Kurat in das 1.900 m hoch gelegene Bergdorf ein und entwickelte ein Tourismuskonzept das von folgender Prämisse ausging: Der Berg ist in seiner Schönheit und Erlebnisvielfalt nicht Besitz Einzelner, sondern gehört allen, die sich von ihm beschenken lassen. Die im Gebirge lebende Bevölkerung soll den Berg zugänglicher machen, die Gäste in Quartier nehmen, versorgen, beraten und mit Träger- und Bergführerdiensten unterstützen. Als Gegenleistung bezahlen die Gäste die Dienstleistungen mit barem Geld und sichern damit die dörfliche Existenz. Als Nebeneffekt sollte auch Bildung und Weltoffenheit ins Tal einziehen. Auf Grundlage dieses Konzeptes wurde der Deutschen Alpenverein gegründet und es entstanden die Sektionen des Alpenvereins mit ihren Schutzhütten und Arbeitsgebieten.
Entscheidung gegen Massentourismus
Am 12. Juli 1980 ließ Vent erneut aufhorchen. Während viele andere hochgelegene Alpenorte schon längst im großtechnischen Massentourismus aufgegangen waren bzw. die Weichen dorthin gestellt hatten, ließ Vent mit einer Presseaussendung, unterzeichnet vom Bergführer Luis Pirpamer, aufhorchen:
„Vent in den Ötztaler Alpen setzt auf die unberührte Natur – interessanter Entscheid der Venter gegen Erschließung des Hochjochferners als Sommerskigebiet. Einen einstimmigen Beschluss fasste die Venter Bevölkerung bei der letzten Versammlung des Verkehrsverbandes: Die geplante Erschließung des Hochjochferners als Sommerskigebiet wurde abgelehnt – eine liftmäßige Verbindung zum bestehenden Skigebiet Schnalstaler Gletscher kommt damit nicht zustande.
Obwohl sich die Venter bewusst sind, dass ihnen durch den Beschluss der allseits gewünschte „Herbstskifahrer” als touristische Geldquelle entgeht, sind sie der festen Überzeugung, dass der künftige Gast das Wandern in der unberührten Natur als Urlaubsmotiv Vent im Ötztal mit prächtiger Bergkulisse in der stressgeplagten Zeit immer mehr zu schätzen wissen wird. Vent in den Ötztaler Alpen wird also das Bergsteigerdorf Tirols bleiben – sehr zur Freude der naturliebenden Bergfreunde.“
(Ötztaler Pressedienst, 12.07.1980)
Veredelung des Konzepts von Franz Senn
Im Gegensatz zu vielen anderen alpinen Bergorten haben sich die Übernachtungen im Sommerhalbjahr in Vent nahezu konstant gehalten, was für die gewählte Strategie spricht.
Um auch in Zukunft erfolgreich zu sein, gilt es, das auf den Ideen von Franz Senn basierende Erfolgsrezept Senns zu veredeln und mit neuen Ideen weiterzuentwickeln. 2003 wurde die Unterstützungsplattform „Pro Vent“ gegründet, der Delegierte aus Vent, des DAV und des ÖAV angehören. Daraus ist die beispielhafte Wegegemeinschaft Innerötztal hervorgegangen, die inzwischen nicht nur in Vent, sondern im gesamten Ötztal tätig ist. Alle Bergwanderwege wurden saniert und werden professionell betreut. Seit 2004 sind wieder alle DAV-Schutzhütten und private Hütten entlang der bekannten „Venter Skirunde” für Skihochtouren im Spätwinter geöffnet.
Im 1981 von der Tiroler Landesregierung verordneten Ruhegebiet „Ötztaler Alpen” hat 2005 ein Schutzgebietsbetreuer mit Sitz in Obergurgl seine Arbeit aufgenommen. Seit August 2015 befindet sich einer der sechs Infopoints des Naturparkes im ersten Stock des Venter Widums. Die kleine, feine Ausstellung beschäftigt sich unter anderem mit der Gletscherleiche Ötzi, Franz Senn und der Transhumanz – dem Schaftrieb über die Venter Jöcher.
Pläne für ein Großspeicherkraftwerk
2004 bedrohten Pläne für ein Großspeicherkraftwerk der Tiroler Wasserkraft AG (TIWAG) das Bergsteigerdorf an der Via-Alpina-Route durch die Ötztaler Alpen. Das Projekt sah eine 190 Meter hohe Staumauer im Rofental oberhalb von Vent vor. Alle relevanten Gletscherbäche der Region sollten in diesen Speicher fließen, um als Oberstufe zum bestehenden Stausee im Kaunertal zu dienen. Breiter Widerstand konnte dieses Projekt verhindern. Daran waren neben ÖAV und DAV mit seinen lokal betroffenen Sektionen, u.a. „Pro Vent“, regionale Bürgerinitiativen und die Bevölkerung von Vent beteiligt. Die TIWAG musste auf den Speicher Rofental und die Hochfassung der Gletscherbäche verzichten.
Nach dem aktuellen Stand sollen die Venter und Gurgler Ache jeweils unterhalb der Orte Vent und Gurgl gefasst und in den bestehenden Speicher Gepatsch im Kaunertal fließen, um von dort in einen neu zu errichtenden Speichersee im Platzertal gepumpt zu werden. Allemal ein energiewirtschaftlich und ökologisch problematisches Projekt, das aber den Venter Alpintourismus in seiner jetzigen Form nicht mehr gefährden würde.