„Was ist da oben? Dass du unbedingt hinauf musst?“ fragt der Ginzlinger Alfred Kröll in seinem oben genannten Buch „Ginzling – Am Anfang war das Bergsteigen“. Eine nahezu paradoxe Frage in einem Ort, der so eng mit dem Alpinismus verbunden ist. Hier gaben sich schon vor 150 Jahren die Pioniere des Bergsteigens die Hand, ihren begeisterten Berichten folgten immer mehr Gäste mit Seil und Pickel und aus der kleinen Siedlung wuchs ein Dorf.
Es ist heute wie damals: Ginzling, die Ortschaft im Herzen der Zillertaler Alpen, lässt das Bergsteigerherz höher schlagen. Schon die Anreise ist eindrucksvoll, sie führt wahlweise über die sogenannte Schluchtstrecke oder durch den einspurigen Tunnel. Hat man die enge Zemmschlucht passiert, weitet sich das Tal ein wenig und der Blick richtet sich unwillkürlich nach oben. Imposant ragen die Felswände in die Höhe: Links die Hänge des Tristner, des formschönen Hausbergs der Ginzlinger, rechts die Ausläufer des Tuxer Hauptkamms, der hier immer noch Höhen von fast 3000 Meter erreicht. Laut Alpenvereinskartographie können die Zillertaler Alpen mit 72 Dreitausendern aufwarten. Für die Mehrzahl von ihnen ist Ginzling der Ausgangsort, so auch für den höchsten Zillertaler Gipfel, den Hochfeiler (3.509 m). Außerdem ist Ginzling Talort für sage und schreibe sieben Alpenvereinshütten. Direkt an den Siedlungsbereich anschließend, beginnt der Hochgebirgs-Naturpark Zillertaler Alpen mit einer Fläche von 422 km².
Höhenflüge in Gletscherlandschaft
Worüber die Statistik keine Auskunft geben kann, ist die großzügige Weite der zentralalpinen Gletscherlandschaft, die den Höhenwanderer auf seiner Tour von Hütte zu Hütte beflügelt. Ohne ins Tal absteigen zu müssen, führt der beliebte Berliner Höhenweg in bis zu sieben Tagesetappen über den Zillertaler zum Tuxer Hauptkamm. Direkt vom Ort aus kann man die Tour mit dem Aufstieg durch das Floitental zur Greizer Hütte beginnen. Spätestens am nächsten Abend, wenn man nach einer weiteren, tagesfüllenden Wanderung auf der Berliner Hütte angekommen ist, wird man den Leistungen der deutschen Alpenvereinssektionen – allen voran den Bergsteigern aus Berlin – Respekt zollen.
Kletterparadies und Naturparkhaus im Tal
Etwa tausend Höhenmeter weiter unten lockt der Nasenwand-Klettersteig gut trainierte Gäste des Bergsteigerdorfes in die steile Wand. Wer diesen Klettersteig gemeistert hat, verspürt vielleicht Lust, die Hand an “richtigen” Fels zu legen. Kein Problem, die Felswände und Boulderblöcke rund um Ginzling bieten genug Betätigungsmöglichkeiten. Hier trifft sich zunehmend die internationale Sportkletterszene. Ihr unbestrittenes Zentrum sind die „Ewigen Jagdgründe“, ein außergewöhnlicher Klettergarten an riesigen Granitblöcken mit rund hundert Routen.
Es wird Zeit, sich im Dorf ein bisschen umzuschauen. An auffälliger Stelle direkt neben der Straße befindet sich ein moderner Holz-Glas Bau. Das Naturparkhaus wird gemeinsam von der Ortsverwaltung Ginzling und der Naturparkbetreuung genutzt und ist somit das sichtbare Ergebnis einer fruchtbaren Kooperation. Seit vielen Jahren arbeiten der Ort, der Naturpark und der Alpenverein eng zusammen. Das „Bergsteigerdorf Ginzling“ entwickelte sich zu einem stehenden Begriff und wurde Pilotprojekt der Alpenvereins-Initiative Bergsteigerdörfer.
Vieles könnte man sich noch über das Bergsteigerdorf Ginzling erzählen lassen. Allein die Frage Was ist da oben? Dass du unbedingt hinauf musst? – die muss sich jeder selbst beantworten.