Zum Geburtstag einer Pionierin

30 Jahre Alpenkonvention

Am 7. November 1991 unterzeichneten die Alpenländer gemeinsam mit der EU ein Abkommen zum Schutz der Alpen. Zum 30-jährigen Jubiläum der Alpenkonvention hat “Bergauf” Generalsekretärin Alenka Smerkolj zum Gespräch getroffen.

Bergauf: 30 Jahre Alpenkonvention – wo liegen die größten Errungenschaften?
Alenka Smerkolj: Für mich ist vor allem die Existenz der Alpenkonvention schon ein großer Erfolg. Die Konvention ist das erste internationale Abkommen, das sich für den grenzüberschreitenden Schutz einer Bergregion einsetzt – mit ihr wurden verbindliche Ziele für acht Themenbereiche unseres Lebens geschaffen. Ihre Ideengeber waren Visionäre und unglaublich engagiert. Ich bewundere ihre Leistung bis heute. Würde ein solcher Vertrag 30 Jahre später aufgesetzt, er würde wohl anders aussehen. Zumindest wäre er nicht derart weitreichend. Wir sollten also wirklich wertschätzen, was wir mit der Alpenkonvention geschaffen haben.

Bergauf: Die 90er Jahre schienen eine gute Zeit.
Smerkolj: Die 90er Jahre standen im Zeichen des gemeinsamen Aufbaus, man hat damals die Gelegenheit am Schopf gepackt. Die Alpenkonvention ist aber auch heute aktueller denn je. Sie versucht unseren Lebensraum zu schützen und strebt gleichzeitig eine nachhaltige Entwicklung an – eine Herausforderung, vor der im Grunde nicht nur die Alpen stehen, sondern die ganze Welt.

Bergauf: Ist es in 30 Jahren gelungen, ein gemeinsames Verantwortungs­bewusstsein zu schaffen?
Smerkolj: Da bin ich sicher. Man spürt es bei den Tagungen und internationalen Arbeitstreffen. Die Alpenkonvention trägt ein besonderer Geist der Zusammen­arbeit. Ich sehe sie als Plattform des Dialogs. Und auch wenn es oft um konfliktträchtige Themen geht, die da diskutiert werden, stehen doch immer die Kooperation und gemeinsame Vision von einer nachhaltigeren Zukunft im Vordergrund. Dieses „alpine Bewusstsein“, wenn man es so bezeichnen will, gründet aber nicht allein auf der Alpenkonvention. Es wurde auch stark durch EU Projekte wie das Interreg Alpine Space Programm gefördert.

Bergauf: Auch Umsetzungsprojekte der Alpenkonvention, wie die Initiative der Bergsteigerdörfer, verzeichnen regen Zulauf.
Smerkolj: Die Bergsteigerdörfer beweisen eindrücklich, dass ein nachhaltiges Leben und Wirtschaften in den Alpen möglich ist. Sie sind das vielleicht beste Beispiel für den Spirit der Alpenkonvention. Bei der letzten Jahrestagung in Lungiarü trafen sich Menschen aus allen Alpenregionen nach über zwei Jahren wieder und man war sich vom ersten Moment an so nahe wie kaum einmal. Das war unglaublich. Die Bergsteigerdörfer eint, dass sie sich bewusst für einen anderen, nachhaltigeren Weg entscheiden. Und sie zeigen: es funktioniert.

Bergauf: Kritiker*innen sagen, die Alpenkonvention sei zahnlos. Die in den Protokollen formulierten Ziele würden in der Praxis nicht ernst genommen.
Smerkolj: Die Protokolle sind nicht einfach geschrieben und sie sind sicher sehr ambitioniert. Ihre Umsetzung erfordert Mut zur Veränderung und steht oft im Widerspruch zu anderen Interessen. Oft heißt es dann, die Protokolle seien „schwach“. Das würde ich nicht sagen. Im internationalen Dialog geht es schließlich immer darum, Kompromisse zu finden. Die Alpenkonvention bietet uns eine Anleitung, wie wir den Dialog in die richtige Richtung lenken können. Fakt ist: Sie findet durchaus Anwendung, auch vor Gericht. Und hat schon oft geholfen, größeren Schaden abzuwenden.

Bergauf: Wo hat sie noch Entwicklungspotenzial?
Smerkolj: Wenn ich an den Schutz unserer alpinen Umwelt und an die Bewahrung des kulturellen Erbes denke, würde ich sagen: the sky is the limit. Persönlich fände ich wünschenswert, wenn der Alpenkonvention mehr Aufmerksamkeit bei der Umsetzung der Sustainable development goals (SDGs) zuteil würde. Die Ziele der Vereinten Nationen verfolgen dieselbe Idee – nur dass die Alpenkonvention 25 Jahre früher dran war.

Bergauf: Schauen wir 30 Jahre in die Zukunft – wird es die Alpenkonvention dann noch geben?
Smerkolj: Ich kann als Generalsekretärin leider nicht in die Zukunft blicken, bin aber zuversichtlich, dass sie auch weiterhin in ihrem Wert geschätzt wird und Anwendung findet. Die Alpenkonvention spielt eine wichtige Vermittlerrolle zwischen Ländern, Regierungen und verschiedenen Stakeholdern. Es wird sie auch in Zukunft brauchen – zumal die Herausforderungen größer und der Ruf nach grenzüberschreitenden Lösungen lauter wird. Bis zum Jahr 2052 werden wir den längst überfälligen ökologischen Wandel hoffentlich geschafft haben. Vielleicht werden die Diskussionen dann einfacher.

Bergauf: Für ihre Umsetzung werden wir aber weiterhin kämpfen müssen?
Smerkolj: Ja, jeden Tag.

Bergauf: Was sind die größten Herausforderungen?
Smerkolj: Man muss sich nur umsehen, was im Sommer und Winter um uns herum passiert. Der Klimawandel ist allerorts spürbar, wir erleben eine nie dagewesene Biodiversitätskrise. In den Alpen schreiten diese Prozesse schneller voran. Wir müssen zusammenarbeiten, zusammenarbeiten und noch einmal zusammenarbeiten, um zu verhindern, dass die Schäden irreversibel werden. Wenn ich die junge Generation sehe, bin ich trotz vieler Krisen zuversichtlich. Sie verstehen besser als wir, wie dringlich die Lage ist.

Bergauf: Sie sind nun fast drei Jahre Generalsekretärin der Alpenkonvention. Wie würden Sie sie definieren, ganz persönlich?
Smerkolj: Ich würde sagen, die Alpenkonvention bietet uns vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten und ist gleichzeitig Schutzmechanismus, eine rechtliche Basis, auf die sich jeder und jede Alpenbewohner*in berufen kann. Wenn man einmal vom Schutzgedanken absieht, ist sie noch viel mehr: eine Gelegenheit zum Feiern etwa. Das Berge lesen Festival bringt Menschen aus allen Teilen der Alpen zusammen. Das ist jedes Mal wunderbar.

Das Interview für Bergauf führte Theresa Girardi.