23. September 2020

Die Zukunft der Bergsteigerdörfer

Divers – vernetzt – sichtbar

Die Marke Bergsteigerdörfer ist eine Auszeichnung, die mehr als eine Ausrichtung im Tourismus bedeutet – es soll den Blick aufs große Ganze öffnen und darauf, wo man als Gemeinde oder Region hinwill. Bei der Jahrestagung der Bergsteigerdörfer in Ramsau bei Berchtesgaden bei der über „Die Zukunft der Bergsteigerdörfer“ beraten wurde. Das Thema warf spannende Diskussionen rund um regionale Entwicklung, nachhaltigen Tourismus und die Rolle des Bergsports auf.

Das erste Bergsteigerdorf Deutschlands, wie sich Ramsau bei Berchtesgaden gerne nennt, liegt nahe der Wiege der Alpenkonvention. 1989 wurde mit der Berchtesgadener Resolution der Grundstein für diesen völkerrechtlichen Vertrag über den umfassenden Schutz und die nachhaltige Entwicklung der Alpen gelegt, der der Idee der Bergsteigerdörfer als Unterbau dient. Genau 30 Jahre nach dieser Resolution trafen hier wieder Vertreter aus vielen Alpenländern zusammen, diesmal, um die Umsetzung ihrer ambitionierten Ziele im Rahmen der Bergsteigerdörfer zu reflektieren.

Seit die Idee der Bergsteigerdörfer über die Landesgrenzen hinweg den Alpenbogen bereichern, gelten sie offiziell als Umsetzungsprojekt der Alpenkonvention. Dass diese aktueller ist denn je, betont Bürgermeister Herbert Gschossmann in seiner Begrüßung zur Tagung: „Bergsteigerdörfer wissen, dass der Lebensraum Alpen auch Existenzgrundlage ist. Gemeinsam müssen wir den Schutz der Alpen bekräftigen, eventuell erntet erst die nächste Generation die Früchte. Das erfordert Ausdauer und auch gegenseitige Unterstützung, Austausch und voneinander lernen. Wenn wir das Ziel der Alpenkonvention in Augen behalten – für uns selbst – dann ist es auch für alle gelungen.“

In einer Gesellschaft, die die Alpengebiete vor unterschiedlichste Herausforderungen stellt – von touristischem Druck bis zur Entvölkerung entlegener Täler, von Naturschutzbestrebungen bis zum Eindämmen alpiner Naturgefahren – sind auch in den Bergsteigerdörfern die Ausgangslagen sehr unterschiedlich. „Gemeinsam ist ihnen die Zuversicht, eine gemeinsame nachhaltige Entwicklung zu ermöglichen und auch in Zukunft lebenswert zu sein,“ so der scheidende Vizepräsident des DAV Rudi Erlacher, der eine der treibenden Kräfte der Internationalisierung war.

Der bayerische Alpenraum steht als Naherholungsgebiet für große Ballungszentren besonders unter dem Druck der Erholungssuchenden, der sich in erhöhtem Verkehrsaufkommen und punktueller Überlastung von Ausflugszielen zeigt. Die Herausforderungen hier entgegenzuwirken sind groß, aber wichtig anzugehen. Damit ein qualitativ hochwertiger, sozial- und naturverträglicher Tourismus Bestand hat, müssen Voraussetzungen für Besucherlenkung im Einklang mit Naturschutz geschaffen werden – auch die Politik ist hierbei gefordert, z.B. beim Aufbau eines sinnvollen und attraktiven öffentlichen Personennahverkehrs.
„Wie kommen wir zu einem nachhaltigen Tourismus,“ fragt Bergphilosoph Jens Badura in seinem einleitenden Vortrag. Ein Patentrezept dazu gäbe es wohl nicht, aber vielleicht können diese Zutaten dazu beitragen:

Worauf sind Bergsteigerdörfer die Antwort?

Bergsteigerdörfer sollen die Ziele der Alpenkonvention lokal in die Tat umsetzen. Wie und in welchen Bereichen das gelingt, dazu tauschte man sich 2018 im Rahmen der Tagung im Bergsteigerdorf Malta aus. Mit diesem Vorwissen taucht man in die nächste Diskussion ein: Wohin soll der Weg der Bergsteigerdörfer gehen – im Tourismus, in der Regionalentwicklung und auch beim Bergsport?

Regionale Entwicklung
Das Feld der Regionalentwicklung ist breit gefasst – so auch die Diskussion, wie Bergsteigerdörfer zu den Visionen und Zielen beitragen können. Vernetzung, Zusammenarbeit und Austausch – zwischen den lokalen Akteuren, den Dörfern, auf interkommunaler Ebene – wird verstärkt gefordert. Aber auch, dass die Qualität der Marke Bergsteigerdörfer hochgehalten und in ihrem Sinne weitergearbeitet wird, z.B. indem lokale Kooperations- und Wertschöpfungskreisläufe geschaffen und gestärkt werden, der öffentliche Personennahverkehr attraktiviert oder die Nahversorgung gewährleistet wird. Hier zeigt sich besonders deutlich: „Bergsteigerdörfer sind eine Gemeinschaft, aber sie sind eine heterogene Gemeinschaft, und darauf ist Rücksicht zu nehmen.“ (Jens Badura) Während die einen mit einer Zweitwohnsitzproblematik zu kämpfen haben, stehen andere vor dem Thema, wie sie Abwanderung aufhalten können. So oder so, „der Schutz von dem, was uns ausmacht“ ist ihnen allen wichtig.

Tourismus
Tourismus im Allgemeinen hat das Potential gesellschaftlicher Veränderungen, die nicht automatisch positiv sind. Daher ist ein Tourismus mit einer nachhaltigen Ausrichtung wichtig. Für die Bergsteigerdörfer passe der Begriff „respektvoller Tourismus“ ganz gut, finden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer: respektvoll gegenüber Natur, Kultur, Land- und Almwirtschaft, Einheimischen, Handwerk, Sportlern und untereinander. So soll die Möglichkeit für einen ehrlichen Tourismus entstehen, bei dem man Echtes erleben kann und das Erlebnis mehr ist als nur die sportliche Herausforderung. Es braucht Angebote, die zur Erfüllung dieser Erwartungen beitragen können und das Besondere des Bergsteigerdorfes benennen, wie z.B. BergGesund (Hüttschlag), BergAktiv (Großes Walsertal) oder das Winterwanderdorf Kartitsch. Über all dem soll immer die Maxime von Qualität vor Quantität stehen. Das gilt besonders, wenn man die Tragfähigkeit der Bergsteigerdörfer in Bezug auf Tourismus betrachtet. Wann ist es zu viel Tourismus, wird gefragt? Bei Tagesgästen merke man ein Zuviel schnell – als Ort oder Tourismusdestination solle man für sich Grenzen finden und ein Konsens der lokalen Akteure würde dies definieren. Ein „Gspür“ dafür zu haben, was passt und was zu viel ist, haben die Bergsteigerdörfer in den meisten Fällen.

Bergsport im Wandel
Kann die Vision der Bergsteigerdörfer helfen, das Spannungsfeld Gemeinden, Grundbesitzer und Tourismusverbände zu entzerren? Gerade mit neuen technischen Entwicklungen und Trends – etwa E-Bikes oder Nacht-Skitouren – müssen die geltenden Spielregeln neu ausgehandelt werden. Mediation bei lokalen Lenkungsmaßnahmen und Sensibilisierung für die alpine Natur und Umwelt sind bereits jetzt ein wichtiger Schwerpunkt der Alpenvereine. Durch ihr Engagement in den Bergsteigerdörfern können wichtige Themen wie Wegefreiheit und umweltverträgliches Verhalten an Zielgruppen außerhalb der vielen Mitglieder weitergetragen werden.

Ausblick
Wenn Bergsteigerdörfer regional handeln und denken, wirkt ihre Idee auch in die umliegenden Regionen hinein. Ihnen dient eine gemeinsame Philosophie als Vision und Handlungsgrundlage – Diversität und Gemeinsamkeiten tragen zum spannenden Austausch bei und fördern Ideen. Wünschenswert wäre die breitere Verankerung des Projekts auf lokaler Ebene und Verbesserung hinsichtlich Vermittlung der Inhalte der Bergsteigerdörfer, Sichtbarkeit und Vernetzung. Daran wird von verschiedenen Seiten gearbeitet, in den Alpenvereinen und ihren Beratungsorganen, in den lokalen Arbeitsgruppen, Gemeinden, Tourismusorganisationen und Partnerbetrieben. Damit die Vision, die der Journalist Georg Bayerle zu Beginn der Tagung ausspricht, Wirklichkeit wird: „Bergsteigerdörfer sind eine Elite, die von Bescheidenheit lebt.“

Hier gehts zum Bergauf 04.2020 …