Wo Künstler und Therapeuten in die Berge gehen

Wahrscheinlich zählt die Rax zu jenen Berggruppen, die in der Weltliteratur einen Spitzenplatz einnehmen. Selbstverständlich hat dies mit der leichten Erreichbarkeit aus der Großstadt Wien zu tun, sodass die Gebirgslandschaft um den Semmering schon im 19. Jahrhundert das bevorzugte Sommer-Erholungsgebiet der Wiener Gesellschaft geworden war. Im Fin de Siècle errichteten Vertreter des Adels, der Hochfinanz und des Großbürgertums prächtige Landsitze und bemerkenswerte Villen. Gleichzeitig war die sommerliche Gebirgslandschaft ein Tummelplatz der Kreativen, die nicht selten aus der alpinistischen Betätigung neue Impulse für ihre schöpferische Leistung bezogen.

Sigmund Freud wurde im Otto-Schutzhaus auf den später sehr berühmten “Fall Katharina” aufmerksam, weil die Tochter der Hüttenwirtin ihn um ärztliche Hilfe bat. Freud notiert später: “Da war ich also wieder in den Neurosen, denn um etwas anderes konnte es sich bei dem großen und kräftigen Mädchen mit der vergrämten Miene kaum handeln. Es interessierte mich, dass Neurosen in der Höhe von über 2.000 Metern so wohl gedeihen sollten.”

Auch ein anderer berühmter Therapeut war mit der Rax eng verbunden: Viktor E. Frankl betätigte sich auch noch im hohen Alter vor allem an der Preinerwand. Er meinte einmal: “Es gibt eigentlich keine größere, wesentliche Entscheidung in meinem Leben, die ich nicht auf der Rax getroffen hätte.”

Und nicht zuletzt tummelten sich in der Rax eine Reihe alpiner Legenden: Eugen Guido Lammer, Otto und Emil Zsigmondy, Fritz Schmid, Karl Prusik (der “Erfinder” des Prusikknotens), um nur einige zu nennen. In der Rax entstand die Grundlage für die auch heute noch gültige alpine Schwierigkeitsskala, die 1894 in einem von Karl Benesch verfassten Führerwerk veröffentlicht wurde.

An schönen Sommer- und Herbstwochenenden verströmt das Raxplateau eine Aura heiterer Gelassenheit. Auf den Hauptwegen herrscht fast schon großstädtisches Flair, man flaniert, die Chancen stehen gut, hier Bekannte zu treffen, die man in der Stadt bereits jahrelang nicht mehr sah.

Der Berg hat aber auch ein grimmiges Gesicht: Ein hochsommerlicher Schlechtwettereinbruch kann das Plateau binnen kurzer Zeit in eine sturmtosende Nebelhölle verwandeln, in der jede Geländeorientierung versagt.