14. November 2019, Bergauf

Die Zukunft ist, was wir daraus machen

Bergsteigerdörfer als regionale Entwicklungskerne

„Bergsteigerdörfer sind vorbildhafte regionale Entwicklungskerne im nachhaltigen Alpintourismus,“ ist auf der Bergsteigerdörfer-Website zu lesen. Eine gewagte Positionierung? Wagen wir den Blick hinter den Vorhang und schauen, wie diese Vision von den Bergsteigerdörfern umgesetzt wird.

Zusammengestellt von Marion Hetzenauer

Zwanzig Orte und Regionen in Österreich dürfen sich Bergsteigerdorf nennen, weitere neun in Deutschland, Südtirol, Italien und Slowenien.

Während manche Ausgangspunkt für langersehnte Besteigungen oder Touren sind, bestechen andere mit ihrer alpinen Kulturlandschaft, in der kleinräumige Bergland­wirtschaft eine große Rolle spielt. Das Bergsteigerdorf Vent zieht mit Wildspitze, Similaun und Weißkugel Alpinisten beinahe magisch an. Wanderer mit Vorliebe für Erd- und Zeit­geschicht­liches werden von Mauthen begeistert sein und Schitouren­geher finden im Villgraten­tal Ruhe und sensationelle Abfahrten. So unterschiedlich diese Orte sind, gemeinsam ist ihnen ein Bezug zur Natur und Kultur und die Verbundenheit mit den Bergen, da Alpintourismus wesentlich zur ihrer Entwicklung beigetragen hat.

Bergsteigerdörfer stehen für ihre Kleinheit und Ruhe, ihr harmonisches Ortsbild und ihren alpinistischen Anspruch – Qualitäten, die es zu erhalten gilt. In Zusammenarbeit mit den Alpenvereinen setzen sich diese Orte für einen sanften Alpintourismus ein. Dabei soll aber kein Glassturz über sie gestülpt und sie so zu Museen gemacht werden – vielmehr soll die Auszeichnung zum Bergsteigerdorf Anregung für neue und innovative Wege sein.

Geleitet von der Alpenkonvention, die eine gesamtheitliche nachhaltige Entwicklung des Alpenraums im Blick hat, stellen sich Bergsteigerdörfer den Herausforderungen, um für zukünftige Gegebenheiten vorbereitet zu sein. Um nur wenige zu nennen: Abwanderung und Überalterung sind Schreckensszenarien für den ländlichen Raum. Vielerorts wird es notwendig sein, Kräfte zu bündeln, z.B. in der Verwaltung, der Vermarktung landwirtschaftlicher und touristischer Produkte, der Nahversorgung oder der öffentlichen Erreichbarkeit. Auch der vielzitierte Klimawandel wird mit zunehmenden Extremereignissen dafür sorgen, dass sich das Urlaubsverhalten der Alpenbesucher ändert – sei es, dass sie in den heißen Sommern vermehrt die Alpen besuchen, sei es, dass sie ihren Alpenbesuch stark von Vorhersagen abhängig machen oder Regionen meiden werden. Die zunehmende Digitalisierung verspricht Chancen, auch in entlegenen Gebieten dezentrale oder hochqualifizierte Arbeits­plätze zu schaffen, geht aber ebenso einher mit der Entkoppelung sozialer Beziehungen in unmittelbarer Umgebung.

Damit die Verbundenheit der Bevölkerung zur alpinen Region nicht verloren geht, ist es gerade den Bergsteigerdörfern ein Anliegen, regionale Besonderheiten hervorzu­heben und den Bewohnern ein Bewusstsein für diese zu geben. Nicht nur Tradition, auch neue Ankerpunkte tragen dazu bei, eine regionale Identität zu definieren – dabei ist Innovation wichtig. Neue Modelle entstehen, alternative Methoden kommen zum Einsatz, der Kreativität wird Raum gegeben, um die Entwicklungen in den Bergsteigerdörfern mitzugestalten.

Klar ist, die Bergsteigerdörfer sind nur so kreativ und innovativ wie die Menschen, die dort leben, arbeiten oder ihren Urlaub verbringen. Wie sich ihr Engagement auswirkt, ist hier beispielhaft nachzulesen.

Facetten des Bergsteigerdorfs Mauthen

Der jährliche Erfahrungsaustausch im Rahmen der Jahrestagung ist eine wahre Ideenfundgrube ähnlich strukturierter Dörfer im Alpenraum. Zugleich ist das regelmäßige Zusammentreffen auch eine ganzjährige Motivation, im eigenen Bergsteigerdorf Neues auszuprobieren. Im Bergsteigerdorf Mauthen wurden in den letzten Monaten folgende Projekte begonnen und realisiert:

Menschenportraits in den Sozialen Medien

Wir zeigen Close-Ups der Bewohner, um einerseits unseren Respekt vor den Menschen im Ort offenzulegen, andererseits sind genau diese Menschen, die das Ursprüngliche und Charaktervolle eines Bergsteigerdorfs ausmachen. facebook.com/bergsteigerdorf

Häusertafeln

An den straßenseitigen Außenwänden “interessierter” Häuser bringt der Kulturverein Mauthen seit 2018 laufend Infotafeln an, die ihre Geschichte in Deutsch und Italienisch erzählen. Kurz und prägnant, mit ein bis zwei historischen Bildern versehen, sind die glasartigen Tafeln in einer Alufassung montiert, die als Silhouette das Bergpanorama von Mauthen darstellt.

Alpingeschichtliches Archiv

Das Lebenswerk von Robby Peters, einem Freund des Ortes und nunmehr pensionierten Journalisten aus Aachen, ist die historische Aufarbeitung der Alpingeschichte unserer Region. Sein Archiv wird ab Jahresende von Deutschland nach Mauthen übersiedelt und umfasst historische Bücher und Druckwerke, Devotionalien, Ausrüstungsgegenstände, Bilder und Möbel der Region. Das Gebäude ist zweistöckig und wird im ersten Stock als Archiv und ebenerdig als Geschäftsstelle, Ausstellungs- und Versammlungsraum genutzt werden. Die Einweihung fand im Rahmen der 125-Jahr-Feierlichkeiten am 26. Oktober statt.

Slow Food Travel Region – bis hinauf zur ÖAV-Hütte

Über die Aufnahme unserer ÖAV-Schutzhütte am Zollnersee in den erlesenen Kreis der Slow Food Travel Region Partner sind wir als Sektion besonders stolz. „Gut, sauber und fair“ lautet das Motto der internationalen Slow Food-Bewegung. Unserer Hüttenwirtsleute Maria und Toni Taurer leben und arbeiten mit vollster Überzeugung regional und traditionell und wurden zurecht als erste ÖAV-Schutzhütte mit dem Slow Food Siegel ausgezeichnet. Eine schöne Ergänzung zur Initiative „So schmecken die Berge“ des Alpenvereins. Zum Wohl und Genuss der Wanderer entlang des Karnischen Höhenwegs werden hier regionale Produzenten und regionstypische Verarbeitung gestärkt.

Grenzgänger Marathon

In Anlehnung an den Sellraintaler 24-Stunden-Marsch haben wir 2019 zum bereits vierten Mal den Grenzgänger Wandermarathon (40,4 km, 2.273 Hm Aufstieg) in und rund um das Bergsteigerdorf Mauthen erfolgreich durchgeführt. Vom Ort geht’s durch den Nölblinger Graben rauf zum Zollner See und weiter zu unseren italienischen Nachbarn. Über die Promosalm entlang der Traversale Carnica zum Plöckenhaus, über die Untere Valentinalm und den Römerweg zurück nach Mauthen.

Ingo Ortner ist stv. Obmann der Sektion Obergailtal-Lesachtal und u.a. mit den Agenden des Bergsteigerdorfs betraut. Nach 25 Jahren in Wien lebt er seit 2012 mit seiner Familie wieder in der Heimat und pendelt regelmäßig in die Stadt. Beruflich ist er in der Werbung tätig und nutzt sein berufliches Netzwerk mit Vorliebe für zukunftsfähige regionale Projekte.

www.koemau.com

Kunst und Kultur im Bergsteigerdorf

Das Bergsteigerdorf Vent im Ötztal avanciert jährlich im Sommer zu einem alpinen Ort der Kunst und Kultur und geht damit einen einzigartigen Weg des sanften Tourismus. Gestartet wurde vor über zehn Jahren mit einem internationalen Bildhauersymposium aus dem der „Kunstweg auf Barteb’ne“ entstanden ist. Über die Jahre kamen Vorträge, Exkursionen, Ausstellungen und literarische Veranstaltungen hinzu. 2019 nahm ARTeVENT das 150 Jahr-Jubiläum des Deutschen Alpenvereins zum Anlass, in die Vergangenheit und Zukunft des Lebens in den Alpen zu blicken. Eine Ausstellung im renovierten Widum zeigt seither als Leihgabe des Alpenvereinsmuseum Innsbruck das Fremdenbuch von Vent aus der Zeit von Franz Senn. Gemeinsam mit der Initiative Bergsteigerdörfer wurden in einem Dorfrundgang sowie Abendvortrag die bestehenden und zukünftigen Möglichkeiten des nachhaltigen Tourismus in den Bergsteigerdörfern diskutiert. In Vent, das lange Zeit von außen – durch Alpinismus, Wissenschaft und Naturkunde – geprägt wurde, sollen auch weiterhin mit ARTeVENT Kunst und Kultur sowie spannende Themen ihren Platz finden. Und manch einer wird auch in Zukunft von diesem unerwarteten touristischen Zusatzangebot auf 1890 m Seehöhe überrascht sein.

Ursula Scheiber aus Umhausen im Ötztal ist promovierte Politikwissenschaftlerin und Bergwanderführerin. Seit acht Jahren koordiniert sie die Kulturinitiative ARTeVENT im Bergsteigerdorf Vent.

www.vent.at/artevent

Bürgerbeteiligung: Neue Impulse für das Bergsteigerdorf Innervillgraten

In einem mehrteiligen moderierten Prozess denken und gestalten Bürgerinnen und Bürger die Zukunft von Innervillgraten. Über die naturnahe und nachhaltige (Weiter-)Entwicklung des Bergsteigerdorfs gibt es breiten Konsens.

„Die zahlreichen Teilnehmer, die zum ersten Workshop gekommen sind, die Diskussionen und die Ergebnisse haben gezeigt, dass der Weg des naturnahen, behutsamen Tourismus, der im Villgratental schon vor Jahren eingeschlagen wurde, von den Menschen auf breiter Basis mitgetragen wird“, fasst Christof Schett, Obmann des Ausschusses für Dorferneuerung, Kultur und Umwelt sowie Mitinitiator des Bürgerbeteiligungsprozesses zusammen.

Ziel ist es, in Workshops zwei konkrete Projekte zu entwickeln und diese ab Herbst 2019 umzusetzen. Der Bürgerbeteiligungsprozess wird von Petra Wolffhardt und Thomas Kranebitter moderiert, die sich als „Raumschmiede“ und Wegbegleiter sehen. „Der Wunsch nach Teilhabe und aktiver Mitgestaltung ist deutlich zu erkennen, alle Generationen sind vertreten, vom Bauern über den Hotelier bis hin zum Handwerker“, freut sich Wolffhardt über den gelungenen Start. Ideen und Gedanken der Teilnehmer werden öffentlich sichtbar gemacht – für die Projektbegleiter ist das entscheidend das Gelingen der Projekte. Dabei will man auch auf Kooperationen setzen, die sich bereits in der Vergangenheit bewährt haben, wie mit Alpenverein und Bergsteigerdörfern. “Klasse statt Masse ist dabei unser Leitfaden”, so Schett zum weiteren Weg.

Regina M. Unterguggenberger, Kommunikationsentwicklerin und Bergwanderführerin, hat das Projekt für uns zusammengefasst. Christof Schett hat viele Jahre seiner Kindheit auf der Oberstalleralm in Innervillgraten verbracht. Die Ursprünglichkeit und Ruhe auf der Alm inspirieren ihn bis heute und haben seinen Weg zum Umwelt- & Automatisierungstechniker und Profisnowboarder begleitet. Heute führt er als Reiseveranstalter Menschen an besondere Plätze abseits der Touristenpfade.

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