Bergsteigerdorf Partnerschulen
Eine besonder Schulstunde mit den Volksschulen Schmirn und Vals
„Wisst ihr, was dieses Logo bedeutet?“, ist immer meine erste Frage, wenn ich bei den vierten Klassen der Volksschulen Vals und Schmirn eine Stunde Sachunterricht übernehmen darf.
Die meisten Kinder der Volksschulen von Schmirn und Vals, in die auch die Kinder von St. Jodok gehen, erkennen das Bergsteigerdörfer Logo zwar, wissen allerdings nicht, welche Philosophie hinter dieser Auszeichnung steckt. Interessiert hören die Kinder zu, wenn man ihnen erklärt, warum genau ihr Heimatort diese Auszeichnung erhalten hat. Sie erkennen, was in einem Bergsteigerdorf anders läuft als in anderen Tiroler Tälern und Orten, in denen oft der Tourismus die Haupteinnahmequelle ist. Nach strengen Kriterien werden Bergsteigerdörfer ausgewählt; ein ganz wichtiger Punkt ist, dass die ursprüngliche Natur- und Kulturlandschaft intakt geblieben ist. Da stimmen die Kinder alle zu; sie finden es gut, dass man sich mit dem Label Bergsteigerdorf eine gewisse Reglementierung in der touristischen Entwicklung auferlegt. Denn schließlich soll es in unseren Bergtälern schön bleiben, ohne Verbauung mit großen Hotelkomplexen oder Liftanlagen. Dass die Philosophie der Bergsteigerdörfer auch viel mit einem achtsamen Umgang mit der Natur und mit Regionalentwicklung zu tun hat, verstehen die Kinder auch mit zehn Jahren schon. Viele haben zu Hause einen Bauernhof, manche auch eine Vermietung oder einen Gasthof. Gern erzählen die Kinder von ihren Erlebnissen und von Begegnungen mit Gästen, die die natürliche Gastfreundschaft und die schöne, großteils noch unberührte Natur im Bergsteigerdorf schätzen. Jedes Bergsteigerdorf hat seine eigene Alpingeschichte und dazu gibt es auch ein Büchlein. Daraus lese ich ein Kapitel vor und merke, dass die Kinder sehr interessiert sind an historischen Gegebenheiten aus der eigenen Heimat. Alle nehmen das Büchlein gern mit nach Hause, um noch mehr Geschichten aus der Vergangenheit zu erfahren.
Der Grundgedanke hinter dieser Initiative war es, dass die Kinder die Besonderheiten ihrer Heimat kennen- und schätzen lernen und verstehen, was es bedeutet, ein Bergsteigerdorf zu sein.
Wie kam es zur Idee, "Bergsteigerdorf-Partnerschulen" zu gründen?
Die Gemeinden Schmirn und Vals haben anlässlich des zehnjährigen Bestandsjubiläums des Bergsteigerdorfs St. Jodok/Schmirn/Vals im Jahr 2022 – in Kooperation mit dem Tourismusverband Wipptal – beschlossen, dass die beiden Volksschulen in ihren Gemeinden zu Bergsteigerdorf-Partnerschulen werden sollen. Die Direktorinnen Katharina Lammers (VS Schmirn) und Bernadette Grünerbl (VS
Vals) haben dieses Ansinnen von Anfang an begrüßt und unterstützt. Liliana Dagostin vom Projektmanagement der Bergsteigerdörfer, das in der Abteilung Raumplanung und Umweltschutz des Alpenvereins angesiedelt ist, hat für dieses Pilotprojekt eine kleine finanzielle Unterstützung zugesagt, die zweckgebunden für Outdoor-Veranstaltungen verwendet wird. So haben zur Freude der Kinder bereits naturkundlich geführte Schneeschuhwanderungen, Brotbackkurse mit dem Titel „Vom Brot zum Korn“ sowie ein Besuch in der „Schule der Alm“ stattgefunden.
Die Kinder tragen das Gelernte und in der Praxis Erfahrene mit Begeisterung nach Hause und geben es an ihre Eltern weiter. Damit erreicht man einen großen Teil der Bevölkerung und kann sowohl die Tourismusgesinnung als auch die Akzeptanz für das Projekt Bergsteigerdörfer nachhaltig steigern.
Gemeinsam Draussen unterwegs zu ein, ist das Highlight
Die gemeinsamen Outdoor-Veranstaltungen sind das Highlight für die Schülerinnen und Schüler. Die naturkundlich geführten Schneeschuhwanderungen im Natura2000-Gebiet in Vals haben bei den Kindern einen bleibenden Eindruck hinterlassen und werden wohl zum jährlichen Fixpunkt. Biologe und Naturwanderführer Wolfgang Bacher versteht es ausgezeichnet, die Kinder für die versteckten Schätze der Natur zu sensibilisieren.
Nach einem kurzen Theorie-Teil im Klassenzimmer geht es auf Schneeschuhen, die vom TVB Wipptal zur Verfügung gestellt werden, in das „Winter Wonderland“ des hinteren Valsertals. Beim Tierspurenlesen sind alle mit Feuereifer dabei. Und die gemeinsame Jause, die danach mit roten Backen verzehrt wird, schmeckt ausgezeichnet nach der anstrengenden Wanderung durch den glitzernden Pulverschnee.
Auch beim Brotbacken im Schmirntal gibt es rote Backen, dürfen die Kinder doch – mit Bäuerin Rosa Auer gemeinsam – zuerst mit einem Dreschflegel die Körner aus den Ähren schlagen. „Das ist gar nicht so einfach“, stellen sie fest. Aber Rosa ist geduldig und zeigt ihnen ganz genau, wie es geht. „Früher hat man das auf allen Höfen so gemacht und danach das Korn zur Gemeinschaftsmühle gebracht und gemahlen“, erzählt sie und alle hören gebannt zu. Das Kornmahlen wird dann auch in der Schnattermühle von Toldern, der einzigen noch funktionsfähigen Stockmühle Nordtirols, vorgezeigt. Als Müller fungiert Rosas Bruder Siegfried, der in jungen Jahren diese Tätigkeit oft verrichtet hat. Diese Reise in die Vergangenheit ist für die Schmirner Kinder ein großes Abenteuer. Schließlich dürfen sie noch mit Rosa am Krobashof gemeinsam Brote backen, die dann mit Bauernbutter genüsslich verspeist werden.
Einen Schultag der besonderen Art dürfen die Schülerinnen und Schüler von Vals auf Helgas Alm verbringen. Dort besuchen sie die „Schule der Alm“. Gemeinsam mit Helgas Ziegenherde wandern die Kinder ein kleines Stück im Grauerlenwald. Sennerin Helga, die auch geprüfte Wanderführerin ist, erklärt den Kindern viele wissenswerte Details über den geschützten Grauerlenwald, die Fauna und Flora und natürlich auch über die Almwirtschaft und Ziegenhaltung. Zurück auf der Alm werden die Kinder mit frisch gemolkener Ziegenmilch und einer Almjause verwöhnt. „Allen schmeckt’s“, erzählt Helga, auch wenn manche Kinder vorher tatsächlich noch nie Ziegenmilch oder Ziegenkäse probiert haben. Kein Wunder, denn die Ziegenhaltung ist in den letzten Jahrzehnten im Valsertal leider fast verschwunden. Früher gab es Ziegen als sogenannte „Kühe der Armen“ auf fast allen Höfen, heute sind sie nur noch in wenigen Ställen im Tal zu finden. Gut, dass Helga Hager diese Tradition auf ihrer Alm noch weiterleben lässt – das finden auch die Kinder nach dem Schultag auf
der Alm.
Mein Wunsch: Pilotprojket soll auf alle Bergsteigerdörfer ausgedehnt werden
Nachdem die Aktionen in den Volksschulen von Schmirn und Vals so großen Anklang gefunden haben, wollte ich das zweite Bergsteigerdorf der Ferienregion Wipptal, das Gschnitztal, nicht außen vor lassen. Die Direktorin Stefanie Peer, die für die beiden Volksschulen Trins und Gschnitz zuständig ist, war gleich begeistert. Begleitet von der Schutzgebietsbetreuerin Kathrin Herzer, besuchte ich somit im Herbst 2023 auch erstmals die Kinder im Gschnitztal. Die Aussage einer Schülerin in Gschnitz ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Sie sagte: „Meine Cousine möchte, wenn sie groß ist, nach Amerika auswandern, aber da habe ich zu ihr gesagt: Du kannst doch nicht nach Amerika auswandern, wenn es bei uns in Gschnitz so schön ist.“ Dieser Stolz der Jugend auf das eigene Dorf ist eigentlich die beste Basis für eine gute Entwicklung in einem Bergsteigerdorf.
Es wäre für mich eine große Freude, wenn das Projekt „Bergsteigerdorf-Partnerschulen“ auf alle Bergsteigerdörfer ausgedehnt werden könnte. Es würde einen großen Beitrag zur Bekanntheit des Labels Bergsteigerdörfer leisten. Dieses Label hat seit der Internationalisierung bereits als Markenzeichen für einen umweltfreundlichen, nachhaltigen Tourismus stark an Bedeutung gewonnen. In den Bergsteigerdörfern selbst wissen allerdings oft nur die unmittelbar betroffenen Akteure genau Bescheid, was es bedeutet, diese Auszeichnung zu tragen. Meiner Meinung nach ist der beste und einfachste Weg das zu ändern, die Kinder gut zu informieren. In den Bergsteigerdörfern des Wipptals werden wir diesen Weg auf jeden Fall weiter beschreiten und hoffen, dass viele andere Bergsteigerdörfer unserem Beispiel folgen werden.
Helga Beermeister