Kreuth vertikal - Nadeln und Wände

Ross- und Buchstein, Leonhardstein, Daffensteine, Blankenstein

Vorsicht mit Vergleichen – aber dieser stimmt: Wie auf einer Perlenkette aufgereiht ragen die hellen Kalkfelsen Ross- und Buchstein (1.701 m), Leonhardstein (1.449 m), Daffensteine (1.538 m) und Blankenstein (1.768 m, auch Plankenstein) aus der grünen Alm- und Waldregion der Tegernseer Berge heraus. In einer Linie. Im Osten fortgesetzt von den Wänden der Ruchenköpfe und des Brünnsteins.

Riffkalke, wie geschaffen zum Klettern, haben sich vor 200 Millionen Jahren in einem seichten Meer aufgebaut: So langsam, wie der Grund des Meeres abgesunken ist, so kompakt haben sich die Korallen nach oben gearbeitet. So entstand eine ca. 150 Meter dicke Kalkplatte, die in der späteren Alpenfaltung zum Teil senkrecht aufgestellt – und drumherum alles abgetragen wurde. Sie ist nun wie ein Rückgrat durch die Landschaft verfolgbar. Am Ross- und Buchstein markiert sie zwei Kamelhöcker und am Blankenstein tritt sie wie der gezackte Rücken eines Stegosaurus zutage. Nach Süden vorgelagert sind die berühmten 50-Meter-Nadeln: Am Rossstein die phallische Rosssteinnadel und am Blankenstein, wie eine überdimensionale Stele, die Blankensteinnadel.

So sind über die Jahre 407 Klettereien im besten Kalk in den Schwierigkeiten von 2 bis 11 zusammengekommen (Stadler 2014) – davon viele Einseillängenrouten, aber auch eine Zwölfseillängentour an der Blankenstein Nordwand. Die meisten der Routen sind mit Bohrhaken gut gesichert. Dazwischen gibt es sporadisch klassische Touren mit alpinem Zuschnitt. Und der Weg zu den Felsen ist selektiv: von gut 300 Höhenmetern zu den Ein- stiegen am Leonhardstein bis zu 800 Höhen- metern am Ross- und Buchstein – das hält fit und sorgt für eine gewisse Ruhe in den Wänden.

In den Kreuther Bergen hat das Klettern einen besonderen Zauber: eine ungeheure Weite des Panoramas, ein alpiner Touch, eine südseitige Leichtigkeit, eine Felsqualität wie in den Gorges du Verdon. Das alles ist von Kreuth aus fußläufig und mit einer gewissen Konsequenz mit dem Bike oder dem Bus zu haben.

Als ausführliche und – auch bezüglich der Absicherung und des Naturschutzes – zuverlässige Literatur empfiehlt sich der „Kletterführer Bayerische Alpen, Band 3. Von Bayrischzell bis Benediktbeuern“ von Markus Stadler aus dem Jahr 2014. Hier daher „nur“ einige Kleinodien beispielhaft, ergänzt um ein paar Tipps, die dem Kletterer das Leben und der Natur das Überleben leichter machen. Die Zustiegsbeschreibungen sind entweder hier in der Broschüre bei den Wanderungen zu finden oder in den Kletterführern.

Ross- und Buchstein

Die Rosssteinnadel (1.600 m)

Die Klettereien in den Kreuther Bergen haben nichts so Unbedingtes wie die Wände links und rechts der Steinernen Rinne im nahen Wilden Kaiser oder wie die 800-Meter-Nordwände des Karwendels im Südwesten. Die Kreuther Felsen lassen Raum zum Experimentieren und Spielen. Das hat man schon früh erkannt, in den ersten Jahren des Kletterns, die auch die Erfinderzeit des Filmens waren. Die Rosssteinnadel hat man zum „Zwecke kinematographischer Aufnahmen einer Klettertour“ zum ersten Mal überhaupt bestiegen. Das war 1899. Leider gibt es keine Hinweise, wo diese Aufnahmen gelandet sind.

Man erreicht die Nadel über den Weg zur Tegernseer Hütte entlang der Südflanke des Rosssteins oberhalb der Sonnbergalm. Dort kommen die Wege von Osten (Schwarzentenn), Süden (Bayerwald) und Westen (Fleck im Isartal) zusammen. Sobald man die erste seilversicherte Steilstufe überwunden hat, wendet man sich nach rechts und kommt zu einem geräumigen Platz zwischen Nadel und den Südwänden des Rosssteins.

Über einen Riss (2) geht es in wenigen Metern zu einem Schartl am Beginn des Westgrates. Dieser beginnt mit einer senkrechten, glatten Platte, an der sich die Mutwilligkeit des Klettersports über die Zeiten hinweg sozusagen en miniature spiegelt. In den frühen Jahren erforderte sie den Kunstturner! Im ersten Kletterführer „Bayerische Voralpen“ aus dem Jahr 1910 von Walter Schmidkunz heißt es: „Man erreicht mit ausgestreckten Armen einen kleinen Griff; Klimmzug und Ruckstemme.“ „Ruckstemme“ heißt heute „Mantle“.

40 Jahre später, in Helmuth Zebhausers erster Auflage des Kletterführers „Bayerische Voralpen“ von 1949, ist die „glatte senkrechte Platte“ mit „mittelschwer (II)“ bewertet – der Routinier macht „Normalwege“ halt mit links. Deshalb war es über Jahrzehnte normal, die Nadel „free solo“ zu gehen.

In Wahrheit ist der Westgrat ein Vierer. Die „Ruckstemme“ braucht‘s zwar nicht. Dafür gibt es weit rechts oben einen passablen Tritt. Aber die Kletterei bleibt tricky, so der Aufrichter, wenn der Grat wieder senkrecht – und recht luftig wird.

Zur Sicherung des Nachsteigers gibt es ober- halb der Platte auf der anderen Seite des hier flachen Westgrats einen Ringhaken (lange Schlinge für eine Hakenverlängerung mitnehmen!). Da könnte man auch Zwischenstand machen.

An der Rosssteinnadel hat sich der liebe Gott als Routenbauer versucht. Es ist ihm gelungen. Mit ihren 50 Metern ist sie das Dorado für den ambitionierten Kletterer im 6. und 7. Grad – und vermittelt dem gut trainierten Hallenkletterer ideal den Erfahrungswechsel vom Klettern an künstlichen zu „echten“ Griffen und Tritten. Die klassische Südwand bietet zwei Seillängen zwischen 6 und 7- mit einer raffinierten Linienführung, die Südostkante ist ungeheuer ausgesetzt und wird auf die letzten Meter (7) richtig athletisch. Die Ostverschneidung (6) verlangt den Spiderman, denn sie ist schon etwas glatt, was man aber ausspreizen kann. Und die Nordkante macht ihrem Namen alle Ehre: Sie drückt einen oben, unter der Nase, ganz nach Nor- den raus (6), gibt aber dann nach rechts oben nach. Direkt wäre es sehr hart (8-). Die Nordwand (5-) und der Nordwandkamin (5+) sind dagegen etwas hölzern, soweit man das für einen Felsen sagen kann. Dass es noch schwerer geht, das liegt auf der Hand – und im Können des Kletterers.

Zum Abstieg von der Nadel klettert man bei der Befestigung fürs Gipfelbuch einige Meter nach Norden zum Abseilring ab. Von hier 1 × 30 Meter oder 1 × 10 und 1 × 20 Meter in die Schlucht zwischen Nadel und Rossstein abseilen.

Die sogenannten Sonnenplatten streichen vom Westgrat des Rosssteins nach Süden herab. Hier gibt es ein paar leichtere Touren im besten Fels, die am Westgrat enden. Die mit 3+ bewertete „Zwergerlrutschbahn“ ist allerdings eher etwas für Gemütsriesen. Da sind die Bohrhaken entlang der Wasserrille schon sehr weit auseinander.

Am Buchstein gibt es auf der Nordwestseite ein paar kurze Touren im 4. und 5. Grad. Empfehlenswert für alle, die eine Tour mit alpinem Flair mögen, ist die Nordkante zum Buchstein (5-). Und wie ein gezackter Blitz führt das sehr beliebte „Südwandschmankerl“ (6-) in vier Seillängen durch die Südwand des Buchsteins – dessen Schlüsselstelle am Ende der 3. Seillänge einen schier magnetischen Haken zum Draufsteigen hat. Es soll auch ohne gehen.

Und dann gibt es auf der Südseite des Rosssteins und am Buchstein auf der Süd- und Nordseite noch eine Vielzahl schwierigerer Klettereien, wie zum Beispiel die Via Weißbier (7-), Silberpfeil (7+) oder Kiss me Kate (8+).

Der Zu- und Abstieg des Buchsteins geht direkt über die Einbuchtung östlich der Tegernseer Hütte. Die ursprünglich leichte Kletterei, ca. 30 Meter, ist sehr „poliert“, so dass man sie mit dem Schwierigkeitsgrad 2 und dem Hinweis „Bei Nässe besonders aufpassen!“ bewerten muss.

Blankenstein

Das Pendant im Osten zum Ross- und Buchstein ist der Blankenstein. Hier ist der direkte Zustieg von Kreuth über das Grubereck schon sehr tapfer (2-3 Std.), man muss ja auch wieder heimkommen. Zeitlich günstiger ist die An- und Abfahrt mit dem Bike. Von Osten führt ab der Hufnagelstube (950 m, hierher über die Mautstraße von Enterrottach zur Sutten) ein Fahrweg Richtung Wallberg und Röthensteinalm (1.385 m). Von dieser zu Fuß in einer ¾ Std. zum Blankensteinsattel (1.692 m).

Der „Normalweg“ zum Blankenstein wird unterschätzt. Der felsige Anstieg ist ziemlich abgegriffen und so schwieriger (III) als in der Führerliteratur angegeben (II). Deshalb hier kurz die Beschreibung mit einer Variante, die den schwierigen Kamin zum Gipfel umgeht: Man steigt steil vom Blankensteinsattel an der Westseite zu den Felsen bis zu einer steilen, unten engen Felsrinne. Diese hinauf zum Grat (Stellen 2+) und linkshaltend zum Vorgipfel. Nach Osten zu einer kleinen Gratscharte und auf ein Band in die Südseite. Eine Rinne hinauf zum Fuß eines kurzen, sehr glatten Kamins (3). Diesen kann man umgehen: Vor dem Kamin steigt man links über eine Platte zu einer Scharte im Hauptgrat und über diesen zum Gipfel (2).

Im Abstieg steigt man vom Nordwesteck des Gipfels zum Beginn des Westgrates und über diesen exponiert, aber an guten Griffen und Tritten wenige Meter zur Scharte ab und von dort nach links über die Platte zum Band des „Normalwegs“.

Der Blankenstein bietet vielfältigste Klettereien, auch für die heißen Tage: Da wartet am Fuß der Nordwand ein kühler Klettergarten mit vielen Routen an Wasserrillen: „Glasperlenspiel“ – so heißt auch einer der Sektoren und gleich daneben beginnen die acht Seillängen des „Sommernachttraums“ mit Schwierigkeiten bis 8.

Die optische und haptische Sensation des Blankensteins ist zweifellos die Nadel, eine aufgestellte, nach allen Seiten hin auf den ersten Blick glatte Platte, die unter 6+ („Boblweg“ an der Westkante) nicht zu haben ist. Einzigartig die zweite Seillänge der klassischen Westkante (7-), mit ihrer filigranen Struktur, ebenso, für den, der‘s draufhat, „Freedom“ auf der Südseite (10-/10) und die starke Ostkante mit dem Zustieg über das „Räuberleiterl“ (7+/8-, geht auch A0) und oben genussreiche 6+.

Daffensteine

Die märchenhaft abgerückten Daffensteine, die hoch oben über Kreuth im Osten gegen den Wald ankämpfen, hatten selten Besuch – bis dann die Kletterer kamen. Die Einsamkeit ist den Daffensteinen aber irgendwie geblie- ben – und das ist auch gut so. Das liegt wohl auch daran, dass man es sich am Wandfuß nicht richtig gemütlich machen kann, da der Fels aus dem steilen Wald herauswächst. Aber ist man mal am Fels, dann schaut die Welt schon wieder anders aus – und von Kreuth leuchtet das Schwimmbad blau herauf… Die Routen sind ein bis zwei Seillängen lang.

Die Felsqualität ist nicht einheitlich, zum Teil „gehört der Fels zum Besten, was die Voralpen zu bieten haben“. Es hat sich aber auch ein Felssturz ereignet, so dass sich der Zugang zu einem Sektor verändert hat. Man sollte sich akribisch an die aktuellste Literatur halten, um auf dem Laufenden zu sein (z.B. www.dav-felsinfo.de).

Leonhardstein

Der Leonhardstein ist das Wahrzeichen von Kreuth. Seine Südwand ist eine späte Entdeckung. Früher gab es nur die „Alte Südwand“, ein kühner Anstieg im oberen 4. Schwierigkeitsgrad. Das ist eine andere Form des Kletterns entlang der geringsten Schwierigkeit, oft grasdurchsetzt und mit Normalhaken nicht immer gut abgesichert. Aber die Tour hat schöne Felspassagen und eine ansprechende Linie mit einem langen Quergang in Wandmitte, siehe das detaillierte Topo in Zeb- hauser 1992, S. 215.

Jetzt ist der Leonhardstein das Top-Gebiet mit vielen Routen im sechsten und siebten Schwierigkeitsgrad und schwerer, mit einigen Top-Touren in den Graden 10 und 11, davon viele von Toni Lamprecht. Einige gehen bis zum Gipfel durch und versprechen dann, wie „Flora Bora“ (6+), neun exzellente Seillängen im „rauen grauen Gebirgskalk“.

Bei aller Kletterfreude sollte man gerade auf der Südseite des Leonhardsteins den fantastischen Block-Urwald nicht übersehen mit einer erstaunlichen Vielfalt von Moosen und Pilzen und Käfern.

Die Aufmerksamkeit gilt aber im ganz besonderen Maße dem Wanderfalken. Der brütet gerne im Bereich des Westpfeilers. Deshalb gibt es da eine zeitlich und räumlich befriste- te Sperrung vom 1. März bis 31. Juli, die unbedingt eingehalten werden muss (Stadler 2014, und www.dav-felsinfo.de). Am West- pfeiler sollte auch außerhalb der gesperrten Zeiten nur mit äußerster Zurückhaltung geklettert werden.

Wie geht's weiter mit dem Klettern am Riffkalk der Kreuther Kletterperlen?

Die Frage ist, ob sich im Bergsteigerdorf Kreuth aus den vielen Möglichkeiten des Bergwanderns und Kletterns, aber auch des Mountainbikens, eine neue Form des „alpinen Urlaubs“ entwickeln lässt. Man ist ja hier nicht in Grindelwald oder Chamonix. Doch das ist der alpine Charme des Ortes: Eine Mischung aus Anstrengung und Entspannung, der hohe sportliche Einsatz mit der Chance zur Kontemplation, der Genuss der Landschaft, überhaupt die Exposition in die Natur und die Achtung auf die richtige Distanz zu ihr. Die Berge sind hier alpin, aber nur dort, wo sie senkrecht sind, gleich daneben kann man sich niederlassen und sein Tun genießen und darüber nachdenken, wie schön es ist, in dieser Welt unterwegs zu sein. Und was man tun (und unterlassen) sollte, damit diese Schönheit nicht untergeht.